24.07.2017, 16.00Uhr, auf diesen Termin haben wir uns schon lange gefreut: Treffen zur Abfahrt zur 54. Europeade in Turku. FINNLAND WIR KOMMEN.
Die Europeade ist das größte europäische Trachten- und Folklorespektakel, das jährlich an wechselnden Orten in Europa stattfindet. Wir sind dieses Jahr das dreizehnte Mal dabei, wenn sich 6.500 Teilnehmer aus ganz Europa zum gemeinsamen Musizieren und Tanzen treffen.
Nach einigem Gepäck-Tetris in den PKWs geht es mit 20 Personen und Emma, unserem jüngsten Mitglied, los nach Travemünde zur ersten Fähre Richtung Schweden. Extra etwas früher, man weiß ja nie wie stark der Verkehr zur Ostsee ist. Überraschenderweise sind wir gut durchgekommen und nehmen das mitgebrachte Büffet, das eigentlich für die Fährüberfahrt geplant war, schon auf dem Parkplatz in Travemünde. Gute Entscheidung, denn auf der Fähre hätten wir nicht genügend zusammenhängenden Platz für alle gefunden. Die Abfahrt um 22.00 bietet eine tolle Sicht auf die Festmeile der Travemünder Woche. Sieht aus wie im Miniaturwunderland.
Nach einem mehr oder weniger kurzen Treffen in einer der Kabinen war Schlafen angesagt, denn die Fähre legt schon um 07.00 in Mälmö an.
Das Fahren in Schweden ist mal so richtig entspannt. Weniger Verkehr und keiner rast (Höchstgeschwindigkeit 110) wegen empfindlicher Strafen. Da sind die 600km bis Stockholm mit Pause zum Frühstücken bis zur nächsten Nachtfähre nach Turku gut zu schaffen und es bleibt noch Zeit sich ein wenig Stockholm anzuschauen. Wenn man denn einen günstigen Parkplatz in Zentrumsnähe findet. Haben wir aber nicht, so dass wir wieder auf dem Fährparkplatz auf unsere nächste Überfahrt warten. Zu unserer Überraschung steht plötzlich ein PKW mit WL-Kennzeichen neben uns: Helga und Wolfgang Preuß von der DGV (Deutsche Gesellschaft für Volkstanz), die einen Informationsstand bei der Europeade betreuen. Gute Gelegenheit für ein Begrüßungsgetränk und ist da nicht noch was vom kalten Büffet???
Die Verladung auf die Fähre geht reibungslos und es ist schon erstaunlich, wie viele Fahrzeuge so mitfahren können. Kabinen beziehen und Treffen für das Abendessen. Fisch in allen Variationen, Schlemmen für zwei Stunden. Dann wieder schlafen (während der Europeade ist Schlafen eher Nebensache, also alle Stunden mitnehmen). Frühstück ab 05.30Uhr (schwedische Zeit). Finnland ist eine Stunde vor. Zu wann muss man jetzt den Wecker stellen? Gleich gibt’s Frühstück.
Runter von der Fähre und … Turku, wir sind da. Unsere Betreuerin wartet schon auf uns… beim Terminal … Straße im Navi? … gibt’s nicht … irgendwie um drei Ecken … und tatsächlich gefunden.
Elli, unsere Gruppenbetreuung für die Zeit in Turku. Schülerin, 18 Jahre und, wie wir später erfahren, eine der Hauptdarstellerinnen in der abendlichen Tanzshow. Sie geleitet uns zu unserer Unterkunft (eine Turnhalle in einer von zwölf Schulen in und um Turku, die als Übernachtungsmöglichkeit für die über sechstausend Teilnehmer dient). Wir sind super zufrieden: Platz für 30 Personen (abends kommen noch acht Tänzerinnen und Tänzer, die sich uns aus Heeslingen angeschlossen haben), nicht so eng wie in einem Klassenraum. Alles schon vorbereitet mit Luftbetten und Stuhl. Die wichtigste Frage bei einer Unterkunft: wo sind Toiletten und Duschen? Eine Turnhalle, wenn auch klein, hat immer Umkleiden. So auch hier. Neben Toiletten ist im nächsten Stockwerk die Dusche zu finden. Leider hatte die Organisation vorgesehen, dass alle (und ich meine alle) Gruppen aus den anderen Klassenräumen ihren Weg durch unsere Turnhalle zu den Duschen nehmen. Das musste geändert werden. Mit Ellis Hilfe konnte das Problem gelöst werden. Eine Eingangstür, die eigentlich wegen fehlender Eingangskontrolle nicht benutzt werden sollte, wurde dann doch freigegeben. Auch hier hatte die Sicherheit oberste Priorität. Jeder Teilnehmer erhielt ein Armbändchen mit der Nummer seiner Schule. Und das wurde dann später auch tatsächlich beim Eingang kontrolliert.
Nachdem wir uns eingerichtet hatten blieb genügend Zeit bis zur ersten Veranstaltung die Stadt und die Tanzflächen für die Auftritte zu erkunden. Einkaufen was noch fehlte und schon mal das erste Shopping im nahen Center. Man traf schon die ersten Grüppchen mit den orangenen Taschen, die jeder Teilnehmer mit einigem Infomaterial erhalten hatte. Die Europeade-Meile war noch im Aufbau begriffen; der offizielle Start war ja auch erst abends. Und es stand noch ein gemeinsames Üben mit den anderen Gruppen aus Niedersachsen an, da wir am Donnerstag bei der großen Eröffnungsveranstaltung alle nach der gleichen Musik tanzen sollten.
Mittwoch, 19.00Uhr. Endlich fand die 54. Europeade ihren Anfang auf dem Varvintori-Platz. Konzert mit Vorführungen von vielen Gruppen aus Turku und anschließend die Show „The River“. Über zwei Stunden Musik, die von einer jungen Künstlern speziell für diese Show komponiert wurde und die dann auch noch ein über 50-köpfiges Folk-Orchester spielerisch leitete, begleitete eine Tanzshow über den Lebenszyklus im Sinne der Jahreszeiten mit mehreren hundert Teilnehmern. Äußerst mitreißend und ein würdiger Auftakt für diese Veranstaltung, die das erste Mal in Finnland und im Rahmen der Feierlichkeiten zur 100-jährigen Unabhängigkeit Finnlands stattfindet. Lebensfreude pur mit Gänsehautcharakter. Und mitten drin: Elli, unsere Betreuerin, die eine Figur im Zyklus darstellte. Ein toller erster Abend.
Am Donnerstag hatten wir unseren ersten Auftritt. 30 Minuten im City-Center, die wir zusammen mit den Heeslingern mit Tänzen aus unser Region füllten. Vor uns trat eine Gruppe aus Grönland auf, die in ihrer typischen Landestracht bei guten 25° ganz schön ins Schwitzen kam.
Uns ging es da nicht viel besser, Tanzen ist eben doch Sport.
Da unsere Unterkunft nicht weit entfernt war, konnten wir uns nach dem Auftritt wieder umziehen. Nach dem Mittagessen in der schuleigenen Kantine mussten wir zum Proben für unseren abendlichen Auftritt bei der offiziellen Eröffnungsveranstaltung in der Gatorade Arena. Einmal quer durch die Stadt zur Arena …. ist doch weiter als gedacht … falscher Parkplatz … etwas zu spät. Jede Region hat eine Probenzeit von 30min. Jetzt aber schnell, unsere Musiker von FolkWin auf die Bühne, Mikrofon einstellen. Die Arena ist schon ziemlich groß.
Normalerweise spielt hier die Eishockey-Mannschaft von Turku. Soundcheck – alles klar. Für die Vorführungen gibt es ein genaues Prozedere mit Einmarsch, Vorstellung der darstellenden Gruppen und deren Regionen (wir vertreten natürlich Niedersachsen), 3 Minuten Performance und anschließendem Ausmarsch. Alles klar für den Abend. Anschließend hatten wir noch Zeit uns weiter in der Stadt um- und den anderen Gruppen, die aus ganz Europa in Turku waren, bei Ihren Auftritten in der Stadt zuzuschauen. Sehr beeindruckend wie vielfältig die europäische Kultur ist und bei einigen Tänzen zum Mitmachen kann man diese auch am eigenen Leib ertanzen. Musik und Tanz verbindet die Welt. Dieses Gefühl setzte sich am Abend nahtlos fort, als im 5-Minuten-Takt die verschiedensten Gruppen ihren Auftritt bei der großen Eröffnungsveranstaltung hatten. Mit der Hissung der Europeade-Flagge und den Ansprachen von Bürgermeister und dem Vorsitzen des Europeade-Kommitees wurde die Veranstaltung offiziell eröffnet. Ein bunter Abend mit farbenprächtigen Trachten, schönen Tänzen und sehr abwechslungsreicher Musik. Nach dreieinhalb Stunden ging es wieder zurück in die Stadt zu einer sogenannten JAM-Session: es treffen sich Musiker aus verschiedenen Ländern an unterschiedlichen Orten um gemeinsam zu musizieren. Mit der dabei auch unsere Musiker, die sichtlich Freude daran hatten. Dass da auch getanzt wurde versteht sich fast von selbst. Allein der Umstand, dass der Biergarten, der als Rahmen genutzt wurde, um 2.00Uhr morgens schloss, beendete das Zusammentreffen. Das musste wiederholt werden, da waren sich alle einig.
Der nächste Tag stand zur freien Verfügung und da Emma (1 Jahr) sich fast schon den gleichen Schlafrhythmus zugelegt hatte, wurde niemand von ihr rechtzeitig zum Frühstück geweckt – verschlafen. Der Tag wurde unterschiedlich genutzt: mit Bootsfahrt, Tangolehrgang (der südamerikanisch Tango soll ursprünglich aus Finnland gekommen sein), bummeln durch die Stadt (es gab ja überall Tanz- und Musikvorführungen) oder einem Saunabesuch konnte man Zeit verbringen. Oder man nutzte die öffentliche Fähre für eine Fahrt in die Schären. Für die Verpflegung war auch immer bestens gesorgt: es gab für jeden Tag ein Lunchpaket. Am Abend war auch auf dem zentralen Veranstaltungsplatz immer etwas los und fast wie selbstverständlich Musiker, die sich zum gemeinsamen Spielen treffen. Langeweile? Fehlanzeige!
Für Samstag stand wieder ein Auftritt auf dem Programm. Die Bühne war zu Fuß zu erreichen und dass Menschen mit Trachten durch Turku liefen war den Einheimischen anscheinend selbstverständlich. In Skandinavien wird allgemein zu besonderen Anlässen mehr Tracht getragen als bei uns. Auch bei den vielen Bühnen konnte man starkes Interesse an den Vorführungen ausmachen; über fehlende Zuschauer konnten wir uns nicht beklagen. Und die Gruppen, die vor oder nach uns dran waren, taten ihr Übriges.
Vor dem am Nachmittag stattfindenden Festumzug konnten wir in unserer Schule noch unser Mittagessen einnehmen und dann mussten wir auch schon los. Über 300 Gruppen liefen ab 15.00Uhr am Aurajoki, dem Fluss der Turku in zwei Hälften teilt, entlang begeistert begrüßt von den zahlreichen Zuschauern am Straßenrand. Bei bestem Wetter mit Sonnenschein war die zwischenzeitliche Wasserstation ein Segen. Tolle Stimmung an der Strecke und am Ende gab es wieder eine Lunchtüte. Wir waren an Position 151 und so zogen noch über 150 weitere Gruppen an uns vorbei. Viele bekannte Gesichter, die man schon zu andere Gelegenheiten kennen gelernt hatte. Beim anschließenden Treff im Biergarten zum Verzehr der Verpflegung vermischten sich die Gruppen weiter. Sprichst Du Portugiesisch? Nein? Macht nichts. Englisch geht (fast) immer oder eben mit „Händen und Füßen“.
Jetzt nochmal zur Schule zurück? Nö, eigentlich nicht. Für den Abend ist der Europeadeball auf dem Varvintori-Platz vorgesehen und wir können uns schon mal Plätze sichern. Außerdem soll ein Weltrekordversuch im „Humppa-Tanzen“ stattfinden. Humppa? Das ist ein finnischer Standardtanz wie bei uns der Foxtrott. Schaun wir mal. Nach einer ausführlichen Tanzstunde für die anwesenden Besucher kam um Punkt 20.20Uhr das Zeichen. Humppa für alle. Das amtliche Endergebnis: 20.181 Tänzerinnen und Tänzer – komisch, eigentlich wird zu zweit getanzt – lieferten auf mehreren Plätzen zusammen den angepeilten Weltrekord im Humppa-Tanzen. Und wir waren dabei. Ein schönes Gefühl zu einer großen Gemeinschaft zu gehören.
Den weiteren Abend gestalteten dann verschiedene Musikgruppen aus Europa. Der inoffizielle Höhepunkt war die Gruppe Minge aus Litauen, auf die bereits die ganze Veranstaltung hinfieberte. Die mitreißende Musik fordert einfach zum Tanzen und dann kam er: Der Tanz, auf den alle gewartet haben. Textlich hört sich das für uns an wie „Jacke, Kacke, Jacke, Kacke, oh hole Nuss“, tatsächlich wird aber wohl eine Mutter besungen, die Pfannkuchen backen soll. Egal, der Tanz dazu hat fast das Zeug zu einem weiteren Weltrekord. Der ganze Platz war in Bewegung. Das offizielle Ende für den Europeade-Ball sollte um 1.00Uhr sein, aber so richtig ließen sich die Menschen nicht vom weitere Musizieren und Tanzen abhalten. So endete der Abend für einige irgendwann in den Morgenstunden.
Für den Sonntag war ein ökumenischer Gottesdienst vorgesehen, der von einigen, natürlich in Tracht, besucht wurde. Die übrigen bereiteten schon die am Abend drohende Abfahrt vor: zusammenpacken, aufräumen, Halle fegen, Autos beladen etc., denn leider müssen wir direkt nach der ca. dreistündigen Abschlussveranstaltung am Nachmittag auf der Fähre einchecken. Wie schnell 5 Tage vergehen. Aber erstmal wieder in die Gatorade-Arena für den Abschluss, der ähnlich wie die Eröffnung abläuft. Dieses Mal machen die finnischen Gruppen mit mehreren Hundert TänzerInnen den Anfang, die ein Menuett tanzen. So schön und für feuchte Augen. Es folgen wieder viele Gruppen aus den verschiedensten Regionen Europas für ein buntes Programm. Den großen Abschluss bildet die Einholung der Europeadefahne und Übergabe an die Vertreter der nächsten ausrichtenden Stadt: Viseu in Portugal.
Mit der europäischen Hymne klingt die 54. Europeade aus und wir müssen uns leider von Turku und unserer Betreuerin Elli verabschieden. Natürlich nicht ohne das Versprechen sich wieder zu sehen, sei es in Winsen oder in Turku oder bei einer anderen Europeade. Und das diese nicht die letzte war, die wir besuchten, stand allen im Gesicht geschrieben. Völkerverständigung pur.
von Werner Lübbe